lädt ein zur Einzelausstellung von

Myriam El Haïk

The figure in the carpet


Ausstellung vom 8.12.2018 bis 18.01.2019 in der Sigmaringer Str. 23, 10713 Berlin.
Ausstellungseröffnung am 8.12.2018 ab 18 Uhr.







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Galerie Vincenz Sala

Sigmaringer Str. 23

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zur Ausstellung:


Für den Ausstellungstitel hat sich Myriam El Haïk bei Henry James bedient und es steckt darin wohl auch ein augenzwinkernder, an die Kritikerzunft adressierter Rempler. James gleichnamige Novelle nimmt sich nämlich gleich drei Literaturkritiker vor und lässt an ihnen kaum ein gutes Haar. Sicher auch dank der anhaltenden literaturwissenschaftlichen Debatte, die die Novelle ausgelöst hat, ist im Englischen "The figure in the carpet" zum idiomatischen Ausdruck aufgestiegen. Der mokiert sich über die Hybris der professionellen Meisterleser, die auftreten als könnten sie allein den einen, alles erklärenden Schlüssel liefern, um damit am Ende auch noch den Autor auszustechen.  

Zwar spielt das Schreiben und die Schrift in El Haïks Arbeit eine prominente Rolle, aber natürlich geht es in dieser Ausstellung nicht um aufs Besserwissen gebuchte Literatur- oder Kunstkritik. Es geht um ihre künstlerische Arbeit und man hat Anlass, die Metapher des "The Figure in the carpet" vor allem wörtlich zu nehmen. Das fällt nicht schwer: Ästethik und Produktion marrokanischer Teppiche sind für die Arbeit von El Haïk schon seit langem eine wichtige Bezugsgröße. Im Paradigma des Teppichs ist das Zusammenspiel von reduzierter Motivik und ornamentaler Repitition für ihre minimalistisch verwebten Kompositionen prägend. Das spricht zunächst vor allem von ihrer musikalischen Produktion. El Haïk hat, bevor sie zur Kunst kam, in den 2000er Jahren an der Ecole Normale de Musique de Paris Komposition studiert. Ihre wenig später einsetzende, zunächst vor allem zeichnerische, später auch skulpturale Arbeit knüpft an ihre minimalistische Kompositionspraxis an. Sie wird schließlich bildnerische Kodierung, spielbare Notation musikalischer Motive, die ihren Kompositionen entnommen sind (einige Beispiele sind in einer Art Prolog der Ausstellung vorangestellt). Aber auch wo es an der musikalischen Vorlage fehlt, entstehen Schriftbilder, die ein reduziertes Repertoire an Zeichen - arabische Buchstaben sind Vorbild - in linearer Folge, Zeile für Zeile, gleich den Knoten eines Teppichs aneinanderreihen bis das Gewebe steht. Es ist wie das Knüpfen von Teppichen ein mühsames und langwieriges Geschäft, das zur Ordnung des linearen Gewebes über eine disziplinierte, repetitive Zeichensetzung findet. Es sind Arbeiten in der Zeit und schließlich eher Aufführungen als Notationen ihrer Musik.

Mit "The figure in the carpet" präsentiert El Haïk jüngere Arbeiten, die sich bei offensichtlichen formalen Bezügen zu ihrer bisherigen Produktion einige Freiheiten nehmen, sich Abkürzungen und allerlei Unordnung leisten. Da fährt im kleinen Format der Stift in wenigen farbigen Windungen übers Blatt. Eine eilige und luftige Notiz. Daraus wird im großen Format auf Blättern, die 100x150 cm messen, ein freies, ungerichtetes Kreisen und Schlängeln, das sich in vielfachen Überlagerungen schließlich doch wieder zum Teppich fügt. Und im gleichen Format Frottagen, die sich fürs Kleinteilige, für das Gewebe auf die ungeordnete Struktur der darunterliegenden Arbeitsplatte verlassen. Dahinter steht letztlich ein Lösen ihrer Arbeit aus dem Korsett der Signifikanz, in das ihre Schriftbilder und die zeichnerischen und skulpturalen Notationen eingespannt waren, auch wenn die Schriftzeichen nur ungefähr auf die Buchstaben des arabischen Alphabets verwiesen, und es am Code fehlte, um ihre Notationen zu lesen. Mit der Befreiuung aus der Signifikanz übernimmt das Material das Spielfeld und es beginnt ein mindestens weniger geordnetes, sicher aber lustvolles Spiel mit dem Material. Vor allem aber ist Zeit und Platz für die Rückkehr einer zumeist kräftigen Farbigkeit. Die tritt in den Frottagen, aber auch in einer Serie kleinformatiger Papierarbeiten in dualen, vertikalen Gegenüberstellungen unordentlich gestauchter Rechtecke auf und erlaubt sich schließlich in horizontalen Streifen variabler Breite ein regelrechtes Feuerwerk. Man ist an die kräftig bunte Produktion der Azilal Region der 70er Jahre erinnert und entblödet sich gern zu sagen: Hier scheint eine marrokanische Sonne.


Die wirft ihr Licht aber auch auf weitere in der Ausstellung präsentierte Arbeiten, die El Haïks zuvor minimalistisch-repititive Gangart modulieren. Streng geometrisch gehaltene hard egde Collagen, deklinieren auf kleinem Raum Versuchsanordnungen mit 2-3 Rechtecken aus Origamipapier, farbigen Kartons und Sperrholztafeln. Auch hier geht es um Farbspiele, um spannungsgeladene häufig duale Farbkombinationen, die El Haïk in immer neuen Begegnungen austestet.  Es geht zugleich um das alte minimalistische Thema einer Farbigkeit, die sich nicht mehr vom Träger abhebt, um in sich farbige Materialien, die nicht mehr als Farbträger auftreten. Dabei gehen durch das Material vorgegebene Farbstellungen in ein Spiel ein, das unzensiert recycelt. Der Pariser Marché St. Pierre, Amazon gehören zu den zahlreichen Bezugsquellen. Zugleich recyclet El Haïk sich selbst und greift mit den farbigen Rechtecken, namentlich im Fall der Sperrholztafeln, auf Bildelemente zurück, die zuvor in ihren Notationen als bedeutungstragende Elemente der Kodierung aufgetreten sind. Man ist bei alledem an die zeitgenössische Boucherouite Produktion erinnert, die Stoffreste gleich welcher Herkunft in ein grell buntes Spiel verwebt. 

  

Nun doch zurück zu "The figure in the carpet" und James Angriff auf die Literaturkritik: El Haïks Arbeit sperrt sich gegen die eine Lektüre, die auf Schlüssigkeit und restlose Erklärung hinaus will. Ihre erstaunlich vielseitige Produktivität lässt sich am ehesten noch als ein alles vereinnahmendes Wuchern beschreiben, das von der Musik zur Zeichnung, zur Malerei, zur Skulptur und zurück springt, das zugleich eine breite Palette an unterschiedlichen Materialien ins Spiel einführt und das bei alledem gelegentlich auch noch Regale, Schubfächer, performances, Gesellschaftsspiele und - diesmal buchstäblich - Teppiche abwirft. Die Lösung ihrer Bildelemente aus der Signifikanz wirkt dabei wie ein Brandbeschleuniger. Man wird Zeuge eines endlos variierten Spiels, bei dem schon im kleinen Ausschnitt, den "The figure in the carpet" vorstellt, die Figuren, Motive und Farben Haken schlagen und in unberechenbaren Wendungen, Stellungen, Verwandlungen und Verwebungen wiederkehren. Die multiple Textur ihrer Arbeit macht es schwer, einen roten Faden zu fassen. Jede Idee wird, kaum ausgeführt, durch die nächste variiert und abgelöst. Am ehesten noch ließe sich sagen, dass ein komplexer, mitnehmender und erstaunlich wandlungsfähiger 'groove' durch El Haïks Spiel treibt. Und er treibt es bunt.



zigwigwis, 2018, felt tip on paper 23 x 31 cm